Das hochsensible Kind in der Schule
Tipps für Eltern und Lehrpersonen
Dieses Kapitel beruht auf einem Vortrag der Website-Autorin M. Schauwecker - "Ist ihr Kind hochsensibel?" - und ist das vierte Kapitel in einer Serie von fünf Kapiteln.
Als Grundlage nebst eigenem Wissen und Erfahrungen dient in diesem Kapitel auch das Standardwerk der HS-Pionierin Elaine N. Aron "Das hochsensible Kind", mvgVerlag - mit seinen vielen Tipps zum Thema Schule. Aron hat diesbezüglich eine so sorgfältige Zusammenfassung verfasst, dass dieses Kapitel viele ihrer Themenpunkte übernommen und aufgrund eigener Erfahrungen ergänzt hat.
Inhalt:
- Einführung
- Tipps für Eltern zum Thema Schule
- Tipps für Lehrpersonen
- Fallbeispiele
Von diesen 31 Schulkindern könnten durchschnittlich fünf bis sechs hochsensibel sein.
Einführung
Anfragen wie diese inspirierten mich zu den folgenden Ausführungen zum Thema HSP und Schule:
"...Als Schulsozialarbeiterin werde ich in jüngster Zeit vermehrt von Eltern kontaktiert, die sich mit Fragestellungen rund um den Erziehungsalltag ihrer HOCHSENSIBLEN KINDER an mich wenden. Oft tritt eine grosse Veränderung im Verhalten der Kinder bei Schuleintritt auf (Verweigerung, Wutausbrüche), die sich weniger in der Schule, als vielmehr zu Hause zeigen. Mit gängigen Tipps der Erziehungsberatungsstellen kommen diese Eltern meist nicht weiter, oder wie eine Mutter unlängst sagte: Bei meinen anderen beiden Kindern helfen die Tipps, bei meiner vermutlich hochsensiblen Tochter aber gar nicht! Nun bin ich auf der Suche nach Beratung/Unterstützung für diese Eltern. Können Sie mir weiterhelfen?..."
Es ist erfreulich, dass das Thema Hochsensibilität immer mehr auch Einzug in die Schulen hält, dass auch Lehrpersonen und Fachleute aus Sozial- und Heilpädagogik etc. darauf aufmerksam werden und sich darüber informieren möchten.
Der Schuleintritt ist für alle Kinder ein grosser Schritt, dasselbe gilt gleichermassen für einen Klassen- oder Stufenwechsel: Auch normalsensible Kinder werden stark gefordert von dieser neuen und aufregenden Situation, welche den ganzen Alltag entscheidend verändert und prägt. Es ist der definitive Abschied von der Kleinkinderzeit: das Schulkind wird nicht nur mit einer Vielzahl von neuen Sachgebieten konfrontiert, sondern es muss sich auch an neue Bezugspersonen gewöhnen und in einer neuen grossen Kindergruppe seinen Platz finden und sich behaupten. Es ist gut, wenn man sich einmal überlegt, was für grosse Veränderungen die Schule im Leben eines Kindes tatsächlich zur Folge hat.
Selbstverständlich schaffen auch viele hochsensible Kinder diesen Schritt ohne grosse Probleme! Und doch zeigen die bisherigen Kinder-Kapitel, dass es von Vorteil ist, wenn Eltern ihr hochsensibles Kind besonders sorgfältig begleiten in solchen Zeiten des Umbruchs.
Schul- oder Stufenwechsel: Die Anregungen in diesem Kapitel können auf sämtliche Veränderungen im Schulleben übertragen werden: Hochsensible Kinder reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen in ihrem Leben, speziell auch was die Schule anbelangt (Übertritt in eine höhere Stufe, Wechsel einer Schule, Umzug mit allen Folgen auf das Schulleben, ebenso aufregende Events wie z.B. ein Klassenlager etc.).
Tipps für Eltern zum Thema Schule
- Vorbereitung auf die Schule: Heutzutage schnuppern die meisten Kinder schon im Kindergarten mal Schulhausluft und lernen die zukünftige Lehrperson und das Schulhaus vor dem Schuleintritt kennen. Oder der Kindergarten und die ersten Schuljahre sind bereits in sogenannten "Basis- oder Grundstufen" zusammengefasst, in welchen der Übergang vom Kindergarten zur Schule weniger klar definiert ist. Sollte dies bei deinem Kind nicht der Fall sein - oder bereits erste Schwierigkeiten und Ängste auslösen, ergreife selber die Inititative. Für hochsensible Kinder genügt ein einziger Besuch vielleicht nicht. Eventuell ist es möglich, schon Kontakte mit zukünftigen MitschülerInnen zu knüpfen, Treffen zu veranlassen, wo die Kinder "Schule spielen" können, mit ihnen einmal auf den Schuhausplatz zu gehen, um die neue Welt zu erforschen...
- Vorbesprechen des Schuleintritts: Kinder bekommen von ihrer Umwelt viel mit, besonders auch hochsensible Kinder mit ihren speziell ausgeprägten "Antennen". Vielleicht hat ein älteres Geschwister einmal über die Schule gejammert oder etwas erzählt, was beim jüngeren insgeheim Ängste oder falsche Vorstellungen geweckt hat. Beobachte dein Kind gut, ohne ein "grosses Drama" um die Schule zu machen - und bringe wenn nötig immer wieder Klarheit in diffuse Vorstellungen. Geduld und Wiederholung sind dabei wichtig. Es gibt auch Kinderbücher, die man mit dem Kind immer wieder anschauen - und auf spielerische Art herausfinden kann, wo der Schuh drückt. (z.B. "Ab heute geh ich in die Schule!" von Christine Fehér)
- Der Schulweg ist ein Teil des Schulalltags und sollte mit dem Kind gut eingeübt und besprochen werden. Unterstütze auch schüchtern oder ängstlich wirkende Kinder darin, den Schulweg selber zu bewältigen, wenn dies von den Umständen her (z.B. der Strassensituation) möglich und sicher ist. Überbehütung hilft dem Kind nicht auf dem Weg zur Selbständigkeit. Dabei gilt es aufmerksam zu bleiben. Entwickelt ein Kind grosse Angst vor dem Schulweg, gehe der Sache unbedingt auf den Grund und warte nicht zu. Optimal ist, wenn das Kind den Schulweg in einer vertrauten Gruppe mit andern Kindern zusammen zurücklegen kann.
- Wichtig ist ein guter Kontakt zur Lehrperson. Sei dir dabei jedoch bewusst, dass dein Kind in der Schulklasse "eines unter vielen Kindern" ist: überbesorgte Eltern können das Gesprächsklima belasten. Gib der neuen Situation zuerst genügend Raum, um sich "einzupendeln": Hochsensible Kinder brauchen dazu oft viel Verarbeitungszeit. Erste Anpassungsschwierigkeiten müssen deshalb noch nicht bedeuten, dass bereits ein dauerhaftes Problem besteht. Wenn das Kind leidet und länger andauernde Schwierigkeiten hat, welche auf seine Hochsensibilität zurückzuführen sind, informiere die Lehrperson ganz sachlich über das Thema, falls sie es noch nicht kennt (z.B. mit Buch- oder Website-Hinweisen). Es ist von Vorteil, wenn derjenige Elternteil, der den besseren Draht zur Lehrperson hat, sich bei Schwierigkeiten als primäre Kontaktperson zur Verfügung stellt.
- Probleme beim Schulanfang (oder Schulwechsel etc.): Tauchen Probleme auf, lass der betreffenden Situation wenn möglich etwas Zeit, damit das Kind üben kann, seine Probleme selber anzugehen, eigenständige Lösungen zu finden und Frustrationstoleranz zu entwickeln (natürlich mit Unterstützung, wenn nötig). Zeigt es sich jedoch unglücklich und bedrückt - oder ist es gar in seelischer Not, zögere nicht, ihm möglichst sachlich, ruhig und lösungsorientiert beizustehen. Falls du selber emotional stark mitbeteiligt bist, hole dir Rat, Unterstützung und Hilfe. Dein Kind braucht in einer schwierigen Situation Sicherheit und diejenige Form der Unterstützung, welche Probleme auch aus einer gewissen Distanz betrachten kann.
- 'Komplexer Denkapparat': Elaine Aron meint, dass hochsensible Kinder zu Beginn oft einen "langsamen Eindruck" machen können. Sie führt dies auf die komplexere Wahrnehmung von Hochsensiblen zurück: Solche Kinder nehmen nicht nur mehr auf als der Durchschnitt, sondern sie verarbeiten zusätzlich das Wahrgenommene detaillierter und gewissenhafter. Es brauche mehr Zeit, so Aron, bis man einen komplexeren "Wahrnehmungsapparat" beherrscht, vergleichbar mit einem komplexen Computer, dessen "Handhabung" längere Zeit in Anspruch nimmt. Man muss sich also bewusst sein, dass sich hinter einem "langsamen" Schulanfänger oft (natürlich nicht immer) ein intelligentes Kind verbergen kann, das vor allem zu Beginn einfach mehr Zeit braucht, alle einstürmenden Reize zu verarbeiten (siehe Fallbeispiele).
-> An dieser Stelle sei wieder einmal erwähnt, dass ein hochsensibles Kind sich durchaus auch völlig unauffällig in den Schulbetrieb eingliedern kann. Alles hier Erwähnte kann, muss aber selbstverständlich nicht auftreten!
- Überreizung: Es ist zu beachten, dass im Schulalltag das Thema der Überreizung in der Erziehung erst recht einen erhöhten Stellenwert hat - und dass die vielen neuen Eindrücke in der Schule das Kind ständig überstimulieren können. Umso mehr braucht es zuhause jetzt seine gewohnten Rituale und viel Geborgenheit - als Ausgleich und um sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen.
Vorschlag für ein Abendritual: Mit dem Kind vom vergangenen Tag erzählen (Fokus natürlich nicht nur auf Probleme, sondern auch auf schöne Erlebnisse) und gemeinsam den kommenden Tag anschauen, besondere Ereignisse besprechen und eventuell noch vorhandene Sorgen und "Wellen glätten".
Betrachte zum Thema Überreizung einmal das folgende Bild: Nimm die Farbenvielfalt wahr, stell dir vor, wie diese Kinder durcheinander "wuseln", wie sie sich am Brunnen gegenseitig mit Wasser bespritzen - und wie das etwa tönt, wenn jedes dieser Kinder zu Wort kommen will - und darum seine Stimm-Lautstärke dem bereits erhöhten Schallpegel anpasst.