Das hochsensible Kind in der Schule
Tipps für Eltern und Lehrpersonen
Dieses Kapitel beruht auf einem Vortrag der Website-Autorin M. Schauwecker - "Ist ihr Kind hochsensibel?" - und ist das vierte Kapitel in einer Serie von fünf Kapiteln.
Als Grundlage nebst eigenem Wissen und Erfahrungen dient in diesem Kapitel auch das Standardwerk der HS-Pionierin Elaine N. Aron "Das hochsensible Kind", mvgVerlag - mit seinen vielen Tipps zum Thema Schule. Aron hat diesbezüglich eine so sorgfältige Zusammenfassung verfasst, dass dieses Kapitel viele ihrer Themenpunkte übernommen und aufgrund eigener Erfahrungen ergänzt hat.
Inhalt:
- Einführung
- Tipps für Eltern zum Thema Schule
- Tipps für Lehrpersonen
- Fallbeispiele
Von diesen 31 Schulkindern könnten durchschnittlich fünf bis sechs hochsensibel sein.
Einführung
Anfragen wie diese inspirierten mich zu den folgenden Ausführungen zum Thema HSP und Schule:
"...Als Schulsozialarbeiterin werde ich in jüngster Zeit vermehrt von Eltern kontaktiert, die sich mit Fragestellungen rund um den Erziehungsalltag ihrer HOCHSENSIBLEN KINDER an mich wenden. Oft tritt eine grosse Veränderung im Verhalten der Kinder bei Schuleintritt auf (Verweigerung, Wutausbrüche), die sich weniger in der Schule, als vielmehr zu Hause zeigen. Mit gängigen Tipps der Erziehungsberatungsstellen kommen diese Eltern meist nicht weiter, oder wie eine Mutter unlängst sagte: Bei meinen anderen beiden Kindern helfen die Tipps, bei meiner vermutlich hochsensiblen Tochter aber gar nicht! Nun bin ich auf der Suche nach Beratung/Unterstützung für diese Eltern. Können Sie mir weiterhelfen?..."
Es ist erfreulich, dass das Thema Hochsensibilität immer mehr auch Einzug in die Schulen hält, dass auch Lehrpersonen und Fachleute aus Sozial- und Heilpädagogik etc. darauf aufmerksam werden und sich darüber informieren möchten.
Der Schuleintritt ist für alle Kinder ein grosser Schritt, dasselbe gilt gleichermassen für einen Klassen- oder Stufenwechsel: Auch normalsensible Kinder werden stark gefordert von dieser neuen und aufregenden Situation, welche den ganzen Alltag entscheidend verändert und prägt. Es ist der definitive Abschied von der Kleinkinderzeit: das Schulkind wird nicht nur mit einer Vielzahl von neuen Sachgebieten konfrontiert, sondern es muss sich auch an neue Bezugspersonen gewöhnen und in einer neuen grossen Kindergruppe seinen Platz finden und sich behaupten. Es ist gut, wenn man sich einmal überlegt, was für grosse Veränderungen die Schule im Leben eines Kindes tatsächlich zur Folge hat.
Selbstverständlich schaffen auch viele hochsensible Kinder diesen Schritt ohne grosse Probleme! Und doch zeigen die bisherigen Kinder-Kapitel, dass es von Vorteil ist, wenn Eltern ihr hochsensibles Kind besonders sorgfältig begleiten in solchen Zeiten des Umbruchs.
Schul- oder Stufenwechsel: Die Anregungen in diesem Kapitel können auf sämtliche Veränderungen im Schulleben übertragen werden: Hochsensible Kinder reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen in ihrem Leben, speziell auch was die Schule anbelangt (Übertritt in eine höhere Stufe, Wechsel einer Schule, Umzug mit allen Folgen auf das Schulleben, ebenso aufregende Events wie z.B. ein Klassenlager etc.).
Tipps für Eltern zum Thema Schule
- Vorbereitung auf die Schule: Heutzutage schnuppern die meisten Kinder schon im Kindergarten mal Schulhausluft und lernen die zukünftige Lehrperson und das Schulhaus vor dem Schuleintritt kennen. Oder der Kindergarten und die ersten Schuljahre sind bereits in sogenannten "Basis- oder Grundstufen" zusammengefasst, in welchen der Übergang vom Kindergarten zur Schule weniger klar definiert ist. Sollte dies bei deinem Kind nicht der Fall sein - oder bereits erste Schwierigkeiten und Ängste auslösen, ergreife selber die Inititative. Für hochsensible Kinder genügt ein einziger Besuch vielleicht nicht. Eventuell ist es möglich, schon Kontakte mit zukünftigen MitschülerInnen zu knüpfen, Treffen zu veranlassen, wo die Kinder "Schule spielen" können, mit ihnen einmal auf den Schuhausplatz zu gehen, um die neue Welt zu erforschen...
- Vorbesprechen des Schuleintritts: Kinder bekommen von ihrer Umwelt viel mit, besonders auch hochsensible Kinder mit ihren speziell ausgeprägten "Antennen". Vielleicht hat ein älteres Geschwister einmal über die Schule gejammert oder etwas erzählt, was beim jüngeren insgeheim Ängste oder falsche Vorstellungen geweckt hat. Beobachte dein Kind gut, ohne ein "grosses Drama" um die Schule zu machen - und bringe wenn nötig immer wieder Klarheit in diffuse Vorstellungen. Geduld und Wiederholung sind dabei wichtig. Es gibt auch Kinderbücher, die man mit dem Kind immer wieder anschauen - und auf spielerische Art herausfinden kann, wo der Schuh drückt. (z.B. "Ab heute geh ich in die Schule!" von Christine Fehér)
- Der Schulweg ist ein Teil des Schulalltags und sollte mit dem Kind gut eingeübt und besprochen werden. Unterstütze auch schüchtern oder ängstlich wirkende Kinder darin, den Schulweg selber zu bewältigen, wenn dies von den Umständen her (z.B. der Strassensituation) möglich und sicher ist. Überbehütung hilft dem Kind nicht auf dem Weg zur Selbständigkeit. Dabei gilt es aufmerksam zu bleiben. Entwickelt ein Kind grosse Angst vor dem Schulweg, gehe der Sache unbedingt auf den Grund und warte nicht zu. Optimal ist, wenn das Kind den Schulweg in einer vertrauten Gruppe mit andern Kindern zusammen zurücklegen kann.
- Wichtig ist ein guter Kontakt zur Lehrperson. Sei dir dabei jedoch bewusst, dass dein Kind in der Schulklasse "eines unter vielen Kindern" ist: überbesorgte Eltern können das Gesprächsklima belasten. Gib der neuen Situation zuerst genügend Raum, um sich "einzupendeln": Hochsensible Kinder brauchen dazu oft viel Verarbeitungszeit. Erste Anpassungsschwierigkeiten müssen deshalb noch nicht bedeuten, dass bereits ein dauerhaftes Problem besteht. Wenn das Kind leidet und länger andauernde Schwierigkeiten hat, welche auf seine Hochsensibilität zurückzuführen sind, informiere die Lehrperson ganz sachlich über das Thema, falls sie es noch nicht kennt (z.B. mit Buch- oder Website-Hinweisen). Es ist von Vorteil, wenn derjenige Elternteil, der den besseren Draht zur Lehrperson hat, sich bei Schwierigkeiten als primäre Kontaktperson zur Verfügung stellt.
- Probleme beim Schulanfang (oder Schulwechsel etc.): Tauchen Probleme auf, lass der betreffenden Situation wenn möglich etwas Zeit, damit das Kind üben kann, seine Probleme selber anzugehen, eigenständige Lösungen zu finden und Frustrationstoleranz zu entwickeln (natürlich mit Unterstützung, wenn nötig). Zeigt es sich jedoch unglücklich und bedrückt - oder ist es gar in seelischer Not, zögere nicht, ihm möglichst sachlich, ruhig und lösungsorientiert beizustehen. Falls du selber emotional stark mitbeteiligt bist, hole dir Rat, Unterstützung und Hilfe. Dein Kind braucht in einer schwierigen Situation Sicherheit und diejenige Form der Unterstützung, welche Probleme auch aus einer gewissen Distanz betrachten kann.
- 'Komplexer Denkapparat': Elaine Aron meint, dass hochsensible Kinder zu Beginn oft einen "langsamen Eindruck" machen können. Sie führt dies auf die komplexere Wahrnehmung von Hochsensiblen zurück: Solche Kinder nehmen nicht nur mehr auf als der Durchschnitt, sondern sie verarbeiten zusätzlich das Wahrgenommene detaillierter und gewissenhafter. Es brauche mehr Zeit, so Aron, bis man einen komplexeren "Wahrnehmungsapparat" beherrscht, vergleichbar mit einem komplexen Computer, dessen "Handhabung" längere Zeit in Anspruch nimmt. Man muss sich also bewusst sein, dass sich hinter einem "langsamen" Schulanfänger oft (natürlich nicht immer) ein intelligentes Kind verbergen kann, das vor allem zu Beginn einfach mehr Zeit braucht, alle einstürmenden Reize zu verarbeiten (siehe Fallbeispiele).
-> An dieser Stelle sei wieder einmal erwähnt, dass ein hochsensibles Kind sich durchaus auch völlig unauffällig in den Schulbetrieb eingliedern kann. Alles hier Erwähnte kann, muss aber selbstverständlich nicht auftreten!
- Überreizung: Es ist zu beachten, dass im Schulalltag das Thema der Überreizung in der Erziehung erst recht einen erhöhten Stellenwert hat - und dass die vielen neuen Eindrücke in der Schule das Kind ständig überstimulieren können. Umso mehr braucht es zuhause jetzt seine gewohnten Rituale und viel Geborgenheit - als Ausgleich und um sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen.
Vorschlag für ein Abendritual: Mit dem Kind vom vergangenen Tag erzählen (Fokus natürlich nicht nur auf Probleme, sondern auch auf schöne Erlebnisse) und gemeinsam den kommenden Tag anschauen, besondere Ereignisse besprechen und eventuell noch vorhandene Sorgen und "Wellen glätten".
Betrachte zum Thema Überreizung einmal das folgende Bild: Nimm die Farbenvielfalt wahr, stell dir vor, wie diese Kinder durcheinander "wuseln", wie sie sich am Brunnen gegenseitig mit Wasser bespritzen - und wie das etwa tönt, wenn jedes dieser Kinder zu Wort kommen will - und darum seine Stimm-Lautstärke dem bereits erhöhten Schallpegel anpasst.
Es ist klar, dass hochsensible Kinder, welche die Welt - wie es oft heisst - "durch einen Verstärker wahrnehmen", dabei viel schneller an ihre Grenzen gelangen. Je nach Temperament können sie einerseits schneller "dicht machen" - oder andererseits erst recht "überdrehen". Dabei schadet eine Situation wie auf dem Bild als "Einzelsituation" wohl kaum. Man muss jedoch realisieren, dass die sensibleren Kinder in einer Klasse während des GANZEN Unterrichts nonstop eine viel grössere Anpassungsleistung an den "normalen Schulalltag" vollbringen müssen als ihre normalsensiblen Schulkolleg/innen. - "Spätzünder": Unter den Hochsensiblen gibt es viele Spätzünder, was sich durch das ganze Leben hindurchziehen kann und sich bei vielen später beispielsweise auch bei der Berufswahl zeigt: es gibt für Hochsensible oft schlicht eine zu grosse Auswahl, "was alles auch noch sein könnte". Die Schulung der Entscheidungsfähigkeit ist daher wichtig. Siehe dazu das Kapitel "sich entscheiden".
- "Mentale Gesundheitstage": Elaine Aron empfiehlt von Zeit zu Zeit freie Tage, an welchen keine neue "Action" stattfindet, sondern ausgeschlafen und ausgespannt wird - und wo das Kind "der Nase nach" leben darf. Schulfreie Tage können dafür benutzt werden, - einige Schulen kennen beispielsweise auch zwei freie "Jokertage" pro Jahr...
- Auch bei ausserschulischen Aktivitäten muss die Überreizungsgefahr im Auge behalten werden. Kinder sind meistens noch nicht in der Lage, diese selber einzuschätzen und danach zu handeln.
- Gute Vorbereitung: Events wie Schulreise, Klassenlager, auswärts übernachten etc. können bei einem hochsensiblen Kind nicht nur Vorfreude, sondern auch Aufregung, Überreizung und Sorgen bewirken: je besser du mit dem Kind solche Ereignisse vorbereitest und vorbesprichst (wo möglich sogar übst), desto sicherer kann es sich fühlen - und sich dann auch darauf freuen.
- Unterstützung des Kindes: Wie im Kapitel Tipps für den Alltag schon erwähnt, reagieren viele hochsensible Kinder nicht gut auf Drill und Härtetests. Sie schätzen Gespräche "auf Augenhöhe" und spüren genau, wenn sie ernst genommen werden. Betone bei deinem Kind die Fortschritte und nicht die Fehler, allerdings ohne es dabei auf unrealistische Weise zu loben: hochsensible Kinder merken gut, ob ein Lob aufrichtig gemeint ist.
- Hochsensible Perfektionisten gibt es schon unter den Kindern. Natürlich ist es angenehm für Eltern, wenn ein Kind gewissenhaft für die Schule arbeitet und "alles richtig machen" möchte. Und es gibt natürlich auch Kinder, die einfach Freude am Lernen und an guten Leistungen haben - und dies durchaus in gutem Einklang mit ihrem Kinderleben. Spüre gut nach, was der Grund für den Perfektionismus des Kindes ist: Sollten diesem Unsicherheit, mangelnder Selbstwert oder Versagensängste zugrunde liegen, ist eine entsprechende Unterstützung notwendig, damit das Kind lernen darf, lockerer zu werden und Selbstvertrauen zu entwickeln. Es braucht eine sachliche und verständnisvolle Begleitung, damit die Schule trotz Freude an guter Leistung nicht zum Leistungsstress verkommt. Sorge daher dafür, dass kleine PerfektionistInnen nicht zu lange an den Aufgaben sitzen und dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Schule und Freizeit besteht. Das Kind soll dabei lernen, dass gute Leistungen zwar sinnvoll, aber nicht das Einzige im Leben sind. Biete bei Fragen wie "Ist das gut so? Ist das richtig? Wie soll ich es machen?" nicht gerade Ihre Lösungen an, sondern unterstütze den kindlichen Selbstwert: "Was meinst Du? Wie würdest Du es denn machen? Mach mal einen Vorschlag! Das kannst du..."
- Hochsensible "Unperfektionisten": Die gibt es selbstverständlich genauso. Siehe dazu auch das Thema "Zwei Extreme: Ist dein Kind "hyper" oder "hypo"?" im einführenden Kinderkapitel. Der "Hyper-Typus" des hochsensiblen Kindes kann in der Schule vermehrt anecken, und es können Teufelskreise zwischen Kind, Eltern und Lehrpersonen entstehen, die ein empfindliches Kind immer tiefer in Schwierigkeiten sinken lassen. Oft höre ich, dass solche Kinder dann auf ADHS getestet werden. Selbstverständlich kann ein solcher Test nicht schaden, um zur Klarheit zu gelangen, aber es ist in jedem Fall sehr wichtig, dass auch Hochsensibilität in das Testverfahren miteinbezogen wird - und nicht einfach mit einem ADHS verwechselt wird. (Oft treten beide Phänomene auch gleichzeitig auf.) Dies bedingt von Seiten der Eltern eine sachliche Aufklärung über Hochsensibilität, beispielsweise über folgendes Infoblatt (anklicken) der Website hochsensibel.org. Ein hochsensibles Kind, das sich nicht mehr akzeptiert und willkommen fühlt, kann grosse Schwierigkeiten entwickeln, die einem ADHS nicht unähnlich sind und die seine wahren schulischen Möglichkeiten blockieren. Siehe zu diesem Thema auch den Beitrag von B. Trappmann-Korr, "Gibt es "echtes" und "unechtes" AD(H)S?"
- "Spezialisten" und "Generalisten": Nach Aron gibt es bei hochsensiblen Kindern häufig Spezialisten und Generalisten: Letztere haben es einfacher, in der Schule mitzukommen, - sie zeigen sich generell interessiert und weisen oft vielseitige Kenntnisse auf. Häufig kann die hochsensible Wahrnehmung auch verbunden sein mit einer hohen Intelligenz und vielseitigen Begabungen. Spezialisten kommen unter Hochsensiblen oft vor: Es sind Kinder, die sich mit Haut und Haaren einem Thema oder einigen wenigen Themen verschreiben, von denen sie nahezu alles wissen und welche sie intensiv verfolgen. Solche Spezialisten haben es in der Schule manchmal schwieriger, weil sie sich für vieles, was sie lernen sollten, nicht interessieren. So gibt es unter intelligenten spezialisierten Kindern oft "schlechte Schüler". Optimal wäre in so einem Fall der Versuch, das Lieblingsthema des Kindes irgendwie mit der Schule zu verknüpfen, z.B. ein "Gedicht" oder ein Büchlein über das Thema schreiben zu lassen, wenn möglich innerhalb des Themas Rechnungen zu kreieren, einen Vortrag darüber zu halten etc. Falls dies nicht klappt, muss eine klare Trennung zwischen Schule und Hobby zum Wohl des Kindes durchgesetzt werden.
- Kein Interesse für die Schule: Mangelndes Interesse an der Schule kann nebst dem starken Fokus auf ausserschulische Themen (siehe "Spezialisten") auch andere Gründe haben: Manchmal liegen so einem Desinteresse zum Beispiel schlechte Erfahrungen oder zu häufige Überreizungszustände zugrunde. Ein grosser Prozentsatz der Hochsensiblen ist gemäss Untersuchungen von Elaine Aron eher introvertiert veranlagt: Schlechte Erfahrungen können so unauffällig ablaufen, dass sie für Bezugspersonen kaum spürbar sind. Das Kind kann sie z.B. verschämt für sich behalten, weil es vielleicht Angst hat, ausgelacht zu werden. Es kann sich aus Erwachsenensicht auch um "Details" handeln, von denen wir kaum verstehen, dass sie ein Kind destabilisieren können. Man muss also vorsichtig sein, wenn es darum geht, eine schwierige Schulsituation zu analysieren. Auch sehr intelligente Kinder können die Schule innerlich abschreiben, sich aufgeben und resignieren, was grosse Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann. Daher sollten solche Kinder sorgfältig abgeklärt, ev. therapeutisch unterstützt - und nicht z.B. primär einfach zurück gestuft werden.
- Hilfe in schwierigen Situationen: Nebst dem erwähnten Desinteresse und schulischen Schwierigkeiten leiden hochsensible Kinder häufiger als andere unter Kontaktschwierigkeiten, Ausgeschlossensein oder Mobbing. Wenn sich Schwierigkeiten jeder Art steigern - oder wenn das Kind sich negativ verändert und leidet (z.B. verzweifelt ist oder depressiv wird), zögere nicht, zum Wohle des Kindes einzugreifen und im Kontakt mit den schulischen Bezugspersonen und ev. mit Hilfe von Fachpersonen Lösungen zu suchen. Eine erste Kontaktadresse kann auch der Kinderarzt/die Kinderärztin sein, wenn man nicht weiss, wohin man sich wenden soll. Manchmal sind solche Schwierigkeiten, die seitens des Kindes dramatisch wirken können, mit einem einfachen Gespräch zu analysieren und zu beheben. Manchmal sind jedoch therapeutische Hilfe, vielleicht sogar ein Klassen- oder gar ein Schulwechsel notwendig. Achte in schwierigen Situationen darauf, dass du dir selber auch gut schaust. Schwierigkeiten der eigenen Kinder beeinträchtigen Eltern oft sehr. Man hilft einem Kind am besten, wenn man selber stabil ist, sachlich bleiben kann und nicht mit-leidet. Sollte dies nicht mehr möglich sein, sollte man auch für sich selber Unterstützung und Rat suchen.
- Privatschulen, Steinerschulen, Waldschulen etc: Oft fühlen sich Eltern der Schule gegenüber relativ hilflos und glauben nicht daran, dass sie eine schwierige Schulsituation ihres Kindes ändern könnten. Wie soll man Lösungen finden, die machbar sind und z.B. nicht zu teuer? Eine allgemeingültige Lösung gibt es hier natürlich nicht: Lösungen finden sich nur konkret vor Ort: Meistens ist es schon am eigenen Wohnort möglich, sich über Beratungsangebote, Abklärungsmöglichkeiten, alternative Schulen, Privatschulen, finanzielle Unterstützung, Stipendien etc. zu erkundigen, falls ein Schulwechsel die einzige Lösung einer problematischen Situation sein sollte. Immer häufiger gibt es z.B. auch Waldschulen, sowie Untersuchungen über deren positive Auswirkungen: Das Klassenzimmer wirkt auf viele empfindliche Kinder eng und "eingeschlossen" - und ist voller verschiedener Reize und Anforderungen. Untersuchungen zeigen, dass sensible oder auch hyperaktive Kinder in der Natur unter offenem Himmel weniger überreizt werden und gleichzeitig aufnahmefähiger, ruhiger und zufriedener sind.
- Homeschooling (lehren und lernen zuhause): Tipp einer Leserin: 'Mit großem Interesse bin ich auf Ihre Seite gestoßen, speziell auf das Thema Schule und hochsensible Kinder! Ich vermisste hierbei lediglich einen Hinweis auf die Möglichkeit des sogenannten "Homeschoolings", also des Lernens zuhause, was für manche durchaus ebenfalls in Frage kommt. Besonders für Familien, denen z.B. das Geld für teure Privatschulen fehlt, die aber die Möglichkeit hätten, ihr Kind selbst zu unterrichten. Es gibt dafür bereits ein breites Netzwerk und Hilfestellungen! In den allermeisten Ländern ist Homeschooling problemlos möglich! Das Vorurteil, dass damit die Kinder zu sehr vom sozialen Umfeld abgeschirmt wären, möchte ich u.a. aus eigener Erfahrung nicht gelten lassen. In der heutigen Zeit gibt es hierfür genügend Möglichkeiten, um Raum für soziale Kontakte zu schaffen! Daheim zu lernen kann für sehr viele hochsensible Kinder eine optimale Alternative bedeuten, ihre Fähigkeiten und Talente stressfrei zu entwickeln! Viele liebe Grüße aus Tirol/Ö'.
Lies als Mutter oder Vater auch die Tipps für Lehrpersonen - und umgekehrt: Gegenseitiges Verständnis ist die wichtigste Grundlage!
Tipps für Lehrpersonen
Es ist sehr begrüssenswert, dass das Thema 'Hochsensibilität' immer mehr auch Einzug in die Schulzimmer hält - und bei Lehrpersonen, sowie in der Sozial- und Heilpädagogik auf wachsendes Interesse stösst.
Bitte um Verständnis für die Lehrkräfte: Bei den folgenden Tipps ist von Seiten der Eltern und anderer Bezugspersonen auch Verständnis für die Lehrpersonen gefordert: Es ist klar, dass diese sich nicht jedem Kind so intensiv und individuell zuwenden können wie dies im Elternhaus möglich ist! Dieser Tatsache wird jedoch heute in wachsendem Masse keine Rechnung mehr getragen. Man darf nicht vergessen, dass gegenseitiges Verständnis zwischen Schule und Elternhaus auch für das Kind eine gute Grundlage für den Schulalltag ist.
Wie erkennt man als Lehrperson ein hochsensibles Kind?
15-20 Prozent der Kinder in der Klasse können theoretisch hochsensibel sein, manchmal sind es mehr, manchmal weniger. Hochsensible Kinder haben viele positive Eigenschaften, durch die sie auffallen können, z.B. durch eine gute Reflexionsfähigkeit, durch Feinfühligkeit, Kreativität, Gewissenhaftigkeit, Empathie oder durch Ideenreichtum. Viele von ihnen sind eher introvertiert. Sie können wegen ihrer speziell differenzierten Wahrnehmung leichter und schneller überreizt und verletzt werden, sie finden manchmal schwer Anschluss, sie können unter Umständen auch schnell verlegen, wortkarg und zurückhaltend sein, vor allem wenn sie sich in ihrer Art nicht akzeptiert und ernst genommen fühlen. Dann können sich ihre positiven Eigenschaften auch nicht entfalten. Stimmt das Klassenklima jedoch auch für Hochsensible, können sie mit den erwähnten Eigenschaften für die ganze Klasse zum Gewinn werden.
Elaine Aron, die Pionierin im Gebiet Hochsensibilität, empfiehlt Lehrpersonen, ganz allgemein einmal die verschiedenen Temperamente in der Klasse zu studieren und sich Rechenschaft über die eigenen Vorlieben abzulegen.
Einführungskapitel: Mehr über hochsensible Kinder und die teilweise sehr unterschiedlichen Äusserungsformen dieser Veranlagung sind im Einführungskapitel "Hochsensible Kinder" zu finden (bitte anklicken). Es macht zudem Sinn, wenn sich Lehrpersonen auch die obigen Tipps für die Eltern von Schulkindern anschauen.
Vielleicht interessiert es dich zudem, generell über das Thema Hochsensibilität nachzulesen und dir dabei Gedanken darüber zu machen über dein eigenes Nervensystem, deine Wahrnehmung, deine Belastungsgrenzen, - kurz: über deine eigenen Sensibilität. (Eine Kurzinformation über das Thema Hochsensibilität befindet sich auf der Eingangsseite dieser Website.)
(Literatur: "Das hochsensible Kind" von Elaine Aron, mvgVerlag: viele der in diesem Abschnitt vorhandenen Tipps haben ihre Grundlage im Kapitel "20 Tipps für Lehrer".)
Die folgenden Tipps und Denkanstösse zum Verständnis hochsensibler Kinder können generell eine wohltuende Auswirkung auf ein Klassenklima haben und entfalten auch bei 'normalsensiblen' Kindern eine unterstützende Wirkung.
- Die Zusammenarbeit und eine Vertrauensbasis mit den Eltern hochsensibler Kinder sind speziell wichtig, weil Eltern zuhause oft schon Strategien entwickelt haben und ihr Kind am besten kennen. Eltern ihrerseits dürfen - wie schon gesagt - nicht übertreiben und müssen Verständnis dafür haben, dass ihr Kind im Schulzimmer lediglich eines unter vielen Kindern ist. Eltern sollten vermehrt auch Verständnis für Lehrpersonen haben! Diese werden heutzutage immer häufiger auch von den Eltern gefordert! (Ein kleines Beispiel: Eine Lehrerin erhält am Abend eine E-Mail von einer Mutter mit der Forderung, die Aufsatznote ihres Kindes aufzubessern!!)
- Das zentrale Thema der Überreizung/Überstimulation: Vergegenwärtige dir zuerst, was es für ein hochempfindliches Sensorium bedeutet, in ein "normales" Schulzimmer hinein zu kommen und darin täglich viele Stunden zu verbringen. Die heutige Zeit weist ein hohes Überreizungs-Niveau auf, daher ist es für die ganze Klasse von Vorteil, wenn ganz allgemein Rücksicht auf das kindliche Nervensystem genommen wird. Bei hochsensiblen Kindern ist dieses speziell empfindlich, und sie geraten schneller als andere in einen Zustand der Überstimulation hinein, in welchem sie je nach Temperament z.B. "ausflippen", aggressiv werden können oder aber "völlig abschalten" und sich abkapseln... Wenn du also generell das Überreizungsniveau im Klassenzimmer im Auge behältst, kommt dies den hochsensiblen Schülern und Schülerinnen sehr zugute - und den andern Kindern in der Klasse aber ebenso.
- Ruhephasen: Gegen die nervliche Überstimulation hilft zum Beispiel der Wechsel zwischen Ruhephasen und intensiven Phasen mit spannenden Lernanreizen. Viele Lehrpersonen haben heute im Schulzimmer eine gemütliche Ruhe-Ecke eingerichtet, in welcher sich überreizte Kinder erholen können. Vielleicht kannst du das Schulzimmer auch regelmässig einmal in die Natur verlegen: Im Schulzimmer erzeugt nur schon das nahe, oft enge Zusammensein Unruhe und Unrast (siehe bei den Eltern-Tipps das Thema "Waldschule"). Die vielen Kinder und die Vielfalt des Lernangebots tragen allein schon zur Überreizung bei.
- Doch auch Stresstraining in "zumutbaren Portionen" ist sinnvoll für hochsensible Kinder, da sie letztlich auch fähig sein müssen, am normalen Unterricht teilzunehmen und angespanntere Situationen zu ertragen. Biete den hochsensiblen Kindern wenn möglich eine Steigerung von wenigen Reizen zu mehr Reizen an - oder wie schon erwähnt einen Wechsel zwischen ruhig und intensiv. Von Vorteil sind auch Wahlmöglichkeiten: es kann zwischen verschiedenen Tätigkeiten gewählt werden, - oder das Kind darf die Reihenfolge der Arbeiten selber festlegen, so dass es z.B. zuerst die Lese-Ecke aufsuchen kann, bevor es eine Arbeit beginnt (Förderung des Selfmanagements bei Kindern).
- Eine klare Gliederung des Lernstoffes (z.B. in Lernziele und Lernschritte) hilft einem hochsensiblen Kind, klar zu sehen und nicht schon alleine durch die Vielfalt an Möglichkeiten überreizt zu werden.
Keine Nonstop-Spezialbetreuung! Diese Tipps wecken hoffentlich nicht den Eindruck, als ob hochsensible Kinder immer eine Spezialbetreuung brauchten: dies ist sehr oft nicht der Fall. Viele von ihnen fügen sich problemlos in den Unterricht ein und können zum Gewinn für die Klasse werden. Trotz spezieller Eigenschaften ist ein hochsensibles Kind auch einfach ein gesundes, normales Kind, denn Hochsensibilität ist eine Veranlagung und keine Krankheit, Störung oder Syndrom: siehe das Kapitel "HS ist keine Krankheit". Allzu hohe Aufmerksamkeit kann das Erregungsniveau auch steigern. Lehrperson und hoch- und normalsensible Kinder müssen miteinander gleichermassen eine gute Balance finden.
- Mit einer gleichwertigen Kommunikation von Mensch zu Mensch kommt man bei einem hochsensiblen Kind am weitesten. Es hat häufig ein sensibles Selbstwertgefühl und reagiert vor allem dann kooperativ, wenn es sich ernst genommen fühlt. Verzichte also wenn möglich auf strenge Disziplinarstrafen, weil diese meistens kontraproduktiv sind: Ein hochsensibles Kind nimmt - nach Aron - vor allem Stress und Scham wahr, nicht die "Lehre daraus". Ein Gespräch unter vier Augen nützt meistens viel mehr. Siehe zu diesem Thema auch den obigen Abschnitt "Unterstützung des Kindes" bei den Tipps für Eltern!
- Klassenrat: In einem "demokratischen Klima" fühlen sich nicht nur hochsensible Kinder, sondern die meisten Schülerinnern und Schüler wohler: Anregungen zum Thema "Klassenrat" anklicken.
- Manchmal kann ein hochsensibles Kind wegen seiner komplexen Wahrnehmungs- und Denkweise trotz guter Intelligenz kompliziert oder blockiert reagieren und braucht zusätzliche Erklärungen. Du tust ihm einen grossen Dienst, wenn du dafür einen diskreten Weg findest und es nicht blossstellst: die meisten hochsensiblen Kinder haben ein sehr verletzliches Ehrgefühl. Auch ihr Schamgefühl ist häufig besonders ausgeprägt.
- Kreativität: Viele hochsensible Kinder sind kreativ begabt und blühen bei kreativen Tätigkeiten auf. Es ist daher wichtig, dass die kreative Möglichkeiten im Unterricht gefördert werden. Dies spricht unter anderem auch ihre häufig sehr ausgeprägte Reflexionsfähigkeit an.
- Bei Tests ist ein hochsensibles Kind dankbar, wenn Stress möglichst vermieden werden - und es sich in Ruhe auf Prüfungen vorbereiten kann: seine Leistungen leiden unter einer Stresssituation. Stimmen bei einem Kind häufig die Prüfungsergebnisse und deine generelle Wahrnehmung seiner übliche Leistungsfähigkeit nicht überein, wäre es von grossem Vorteil, dem Kind wenn möglich eine spezielle Prüfungssituation einzurichten, z.B. in einem ruhigen Nebenzimmer.
- Veränderungen und Events im Schulleben sollten bei hochsensiblen Kindern möglichst lange vorher angekündigt werden, damit das Kind und seine Familie Zeit haben, sich darauf vorzubereiten. Veränderungen können für hochsensible Kinder schwierig sein, besonders wenn der entsprechende Event als plötzliche Überraschung eintritt. Schulreisen, Vikariate, spezielle Arbeitswochen oder Veranstaltungen, die den gewohnten Rhythmus unterbrechen, können - trotz Freude - für hochsensible Kinder einen Stressfaktor darstellen.
- Unerwünschte Verhaltensweisen muss man selbstverständlich nicht tolerieren. Hinterfrage Auffälligkeiten zusammen mit den Eltern und dem Kind, um gemeinsam eine Lösung zu finden, welche alle mittragen. Sollten die Auffälligkeiten aufgrund von Überreizungszuständen entstehen, muss das Kind sukzessive lernen, dafür die Verantwortung selber zu tragen (z.B. die Ruhe- oder Lese-Ecke aufsuchen oder um eine Auszeit fragen). Sollte es dazu noch nicht in der Lage sein, kann ihm eine leichte Unterstützung - z.B. in Form einer Frage helfen (z.B. "Was brauchst du, um 'runter zu kommen'?").
- Integrationsprobleme, Aussenseiterprobleme, Mobbing: Hochsensible Kinder fallen manchmal auf und werden durchschnittlich häufiger Opfer von Aggressionen und Mobbing. Sie sind beliebte Angriffsopfer, da sie intensiv reagieren (z.B. schneller weinen), dadurch bieten sie den andern ein "Schauspiel"; zudem sinnen sie seltener auf Rache. Bei grösseren Kindern kann dies auch über die sozialen Medien geschehen (Facebook etc.) und schlimme Formen annehmen. Wenn du bei einem hochsensiblen Kind eine Isolierungstendenz feststellst und merkst, dass es häufig ausgeschlossen wird, warte bitte nicht zu lange und teile dies den Eltern mit, da so eine Situation einen grossen Leidensdruck verursachen kann. Ein hochsensibles Kind braucht häufig keinen Zugang zu einer grossen Gruppe, sondern ist mit einem guten Freund, einer guten Freundin zufrieden. Eine Hilfe könnte auch sein, dass Mobbing und Aussenseitertum im Unterricht mit der betroffenen Klasse thematisiert und diskutiert werden. In schwierigen Fällen ist ev. neben den Eltern auch die Schulbehörde zu informieren.
- Thema ADHS: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (auch Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität, ADS/AD(H)S genannt) wird heute von vielen direkt mit dem Thema Hochsensibilität verbunden. Hochsensibilität ist aber wie bereits erwähnt kein Syndrom, sondern eine Veranlagung. Es kann jedoch umgekehrt so sein, dass ein hoher Anteil der ADHS-Kinder hochsensibel ist. Hochsensible Kinder sollten also ja nicht vorschnell zu ADHS-Kindern gestempelt werden: Viele Symptome der ADHS gleichen den Symptomen eines Überreizungszustandes: ist ein hochsensibles Kind nicht glücklich in seinem Leben, sondern häufig gestresst und immer wieder überreizt und benimmt es sich inadäquat und unkonzentriert, heisst das nicht, dass es automatisch ein ADHS hat. In einer ungestressten, glücklichen Phase können diese Symptome völlig verschwinden, und das Kind ist konzentrationsfähig, ruhig und zufrieden. Siehe zum Thema den Beitrag der Autorin und Fachfrau für Hochsensibilität, Birgit Trappmann-Korr auf dieser Website: Gibt es "echtes" und "unechtes" AD(H)S?
Ganz generell lohnt es sich bei einem hochsensiblen Kind, zu Beginn einen gewissen Einsatz an spezieller Aufmerksamkeit zu leisten, bis ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft und Kind gewachsen ist. Es kann sich sehr oft zu einem wertvollen Klassenmitglied entwickeln, das viel Positives einbringt, wenn es genügend Geduld und Unterstützung für eine friedliche Integration ins Klassenleben erfährt und wenn man sein "Anderssein" als Qualität schätzt.
Abschliessend soll noch einmal betont werden, dass es sehr viele hochsensible Kinder gibt, denen der Schuleintritt oder das Klassenleben keinerlei Schwierigkeiten bereiten.
Fallbeispiele
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DANKE SEHR
Liebe Frau Schauwecker, vielen Dank für Ihre Texte zum Thema Schule. Ich entdecke dort meine beiden kleinen hochsensiblen - in den Augen von anderen "schwierigen" - Spätzündern wieder. Es ist einfach beruhigend, wenn man eine Erklärung für die Besonderheiten der Schützlinge erhält. Ihr Text trägt dazu bei, dass ich es schaffe, mir nicht mehr so viele Sorgen zu machen, weil es für meine beiden nicht immer so rund und unkompliziert läuft wie bei anderen Kindern. Herzlichst A.V.
SPÄTZÜNDERIN: Ein gebildetes und hochintelligentes Professorenpaar hat drei hochsensible Kinder. Das älteste und das jüngste erfassten den Schulstoff sehr schnell und gehörten zu den Klassenbesten, jedoch hatten beide mit sozialen Anpassungsproblemen zu kämpfen. Das mittlere Kind erwies sich im Lernprozess zuerst längere Zeit als ausgesprochen langsam. "Es ist nicht so gescheit wie die andern beiden", meinte die Mutter, "dafür ist es gut in die Klasse integriert". Alle drei Kinder sind heute erwachsen und haben ein Universitätsstudium absolviert. Das mittlere Kind erwies sich - trotz einer langsamen Anpassungsphase in der Schule - mit der Zeit als hochintelligent und arbeitet heute als wissenschaftliche Forscherin und Universitätsprofessorin. Fazit: es braucht für den hochsensiblen "Denkapparat" mit seiner komplexen Wahrnehmung oft länger, bis man ihn als Kind beherrscht.
Und noch eine wichtige Bemerkung: Dieses Fallbeispiel will nicht sagen, dass alle hochsensbiblen Kinder gleichzeitig auch sehr intelligent sind, aber es KANN sein, dass sich hinter einem langsamen Schulanfänger ein intelligentes Kind versteckt.
SCHULEINTRITT: P. ist beim Schuleintritt von all den neuen Erlebnissen völlig überwältigt. Er beobachtet nur, reagiert nicht auf das Unterrichtsangebot, nimmt keinen Kontakt mit andern Kindern auf und spricht kaum. Wenigstens kann er dieses "Schutz"-Verhalten am unvertrauten neuen Ort zuhause kompensieren: vom ersten Tag an verarbeitet er die neuen Eindrücke, indem er seine vierjährige Schwester konsequent "unterrichtet": er bastelt ihr eine Schultasche, heftet Blätter zu Schulheften zusammen und gibt eins zu eins weiter, was er in der Schule erlebt hat. Nach einer gewissen Zeit gewöhnt er sich an die Schulsituation und lebt sich dank einer verständnisvollen Lehrerin sukzessive ein. (Inzwischen hat seine kleine Schwester dank des "Unterrichts" bereits lesen und rechnen gelernt:-)...
STUFENWECHSEL: Nach dem Wechsel von der Unterstufe in die Mittelstufe ist aus dem fröhlichen zufriedenen Schüler Y., welcher in den ersten Schuljahren nie Schwierigkeiten gezeigt hat, ein gestresstes, unglückliches, aggressives Nervenbündel geworden. Die Eltern sind verzweifelt und können sich diesen Wandel nicht erklären, umso mehr als Y. selber nicht genau weiss, warum er so unglücklich ist. Erst ausführliche Gespräche und Beobachtungen zusammen mit der neuen Lehrperson bringen zwei Gründe für das neue Verhalten zutage: Erstens hatte sich Y. sehr an seine vorherige Lehrerin attachiert, er besucht sie noch fast täglich kurz nach der Schule. Zweitens harmoniert Y. schlecht mit seinem neuen Banknachbarn, welcher ihn gerne neckt und kritisiert. Ein Platzwechsel bringt bereits eine erste Besserung. Die frühere Lehrerin wird informiert und unterstützt fortan Y., die neue Schulsituation besser zu akzeptieren, und der neue Lehrer nimmt sich eine Zeitlang die Mühe, durch spannende Lernanreize mit Y. einen "guten Draht" zu entwickeln. Die Situation entschärft sich zusehends.
DIAGNOSE ADHS ODER NICHT? S. wird in ihrer Primarschulklasse oft ausgelacht und geplagt. Sie kann sich nicht wehren, weint schnell und fühlt sich im Schulbus und im Klassenverband ausgeschlossen und alleine. Zuhause jammert sie oft, vergisst Dinge, die sie in den Schulsack packen müsste, streitet sich mit ihren Geschwistern, macht ungern Hausaufgaben und kann sich schlecht auf etwas konzentrieren. Aufgrund dieser Konzentrationsschwäche taucht die Frage auf, ob S. ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom haben könnte. Man wartet aber noch mit einer Abklärung, da S. dank einer hohen Intelligenz trotzdem problemlos mitkommt im Unterricht. Erst nach dem Übertritt ins Gymnasium legen sich die Schwierigkeiten schlagartig. S. fühlt sich in der neuen Schule sehr wohl, findet gute Freundinnen und entwickelt ausgeprägte Hobbies, die sie mit grosser Konzentration verfolgt. Etwas "fahrig" und aufbrausend kann das hochsensible Mädchen immer noch sein, vor allem wenn es überreizt ist. Doch redet niemand mehr von ADHS, und die Eltern sind froh über die jetzt so positive Grundstimmung ihrer Tochter.
"SPEZIALIST" (siehe oben unter Tipps für Eltern): Seit frühster Kindheit weist der hochsensible D. ein ausgeprägtes Interesse auf: seine ganze Liebe gilt dem öffentlichen Verkehr. Er kann Stunden damit verbringen, Busse oder Züge zu beobachten und macht sich schon als kleiner Schüler jeweils auf, um zu erforschen, wo sich die Strassenbahnen befinden, wenn sie nicht unterwegs sind - oder wie die verschiedenen Haltestellen aussehen. Er führt Buch über alle seine Forschungen und wünscht sich einen Fotoapparat auf den Geburtstag, nur um verschiedene Busse und Trams und Züge zu fotografieren. Kein Wunder hat der Schulstoff neben diesem tiefen Interesse kaum Platz. D. lässt sich nicht gerne Englischwörter abfragen, er lernt lieber Busstationen auswendig... Seine Eltern sehen D. eigentlich nie Hausaufgaben machen und sind froh, dass er offenbar über eine gute Intelligenz verfügt und die Schule dennoch schafft. Natürlich kreisen seine Berufswünsche um Busse und Strassenbahnen... Am liebsten möchte er einmal Verkehrsplaner werden.
MOBBING: H. ist ein spezieller Junge - im Aussehen und in seiner Art. Seine ausserordentliche Begabung für Mathematik, die sich schon im jungen Alter zeigt, ist zwar offensichtlich, aber kein Kind in der Klasse kann etwas mit ihm anfangen. In diesem Fall entwickelt sich bald eine schwerwiegende Mobbing-Dynamik, die es dem Jungen trotz Einschreiten der Schulverantwortlichen schliesslich unmöglich macht, diese Klasse weiterhin zu besuchen. H. wird daher in ein anderes Schulhaus versetzt, die Lehrer werden über den Fall instruiert und gebeten, aufmerksam zu bleiben hinsichtlich des Wohlergehens von H. Und dieses Mal hat H. Glück: er findet Anschluss in einer neuen, friedlichen Klasse und kann die extreme Belastung der vergangenen Zeit gut verarbeiten.
EIN MUT MACHENDER BERICHT: Liebe Frau Schauwecker, gestern besuchte ich Ihren Vortrag in G. Heute weiss ich, dass wir zwei hochsensible Kinder haben. Dass sie anders sind als die Mehrheit haben wir schon festgestellt, doch wir schrieben dies unserer Erziehung zu. Manchmal sagte ich zu meinem Mann, ach wie dominant müssen wir sie erzogen haben, wenn sie z.B. am Skilift oder andern Warteschlangen allen Vorrang liessen. Nach Rust in den Europapark gingen wir das erste mal als unsere Kinder 14 un 11 waren, aber nicht etwa zur Freude unserer Kinder, es gefiel ihnen dort auch überhaupt nicht, aber ich hatte manchmal das Gefühl dass sie lernen müssen über den Schatten zu springen, sich den Herausforderungen zu stellen. 1x im Jahr ging es auch nach Zürich, inzwischen kommen sie mit solchen Menschenmengen besser klar. 1x im Monat machen wir einen Überraschungstag, natürlich irgendwo in der Natur oder etwas dass mit Tieren oder Natur zu tun hat, ich sage dem Zwangsbeglücken.
Ferien verbringen wir immer auf einem Majensäss fernab von der Zivilisation ohne Strom und fliessendes Wasser, dies ist ganz nach dem Geschmack unserer Kinder, dort sind sie überglücklich. Unsere Tochter hat mit 8 Jahren ein Buch geschrieben, welches auch veröffentlicht wurde, aber wir beschränkten uns nur auf unsere Region, damit es keinen Ansturm gibt, aber es war ihr ein riesen Anliegen diese Geschichte für andere Kinder zu schreiben. Unsere Tochter ist nicht hochbegabt sie hat einen hochbegabten Wortschatz, genauso unser Sohn, aber in der Schule sind sie durchschnittlich - vor allem wegen der Mathematik. Bei unserer Tochter haben wir uns entschieden, sie ein Jahr später in den Kindergarten zu geben, weil sie einfach nicht wollte. Und sie hatte eine grenzenlose Phantasie, am liebsten war sie im Garten unter einem Baum mit ihren Filzzwergen und spielte stundenlang. Wir entschlossen uns, ihr diese Zeit noch zu geben. Das Umfeld fand dies nicht gut, und im Kindergarten sagte eine Lehrerin zu mir, man muss die Kinder loslassen können. Heute ist unsere Tochter in der dritten Realschule und hat keine Ahnung, was sie lernen soll, sie hat so viele Interessen, kann sich aber noch nicht für etwas definitives entscheiden, nun wird sie das 12.Schuljahr besuchen. Der jetzige Lehrer fragte uns, was sie überhaupt in der Realschule mache, sie wäre definitiv eine Sekundarschülerin: vielleicht jetzt, aber nach der 6.Klasse hätten wir sie nicht diesem Stress für die Sek aussetzen können. Die Realschule war super für sie, lernen brauchte sie nicht, die Noten waren blendend, und sie nahm Klavierstunden und spielt nun seit einem Jahr. Der Klavierlehrer meint, dass er niemand hätte der dieses Stück auch nach drei Jahren spielen könne, wohlverstanden mein Mann und ich sind nicht musikalisch. Auch Geschichten schreibt sie, eine nach der andern, die kann sie dann selber mal veröffentlichen. Das Malen und Zeichnen hat sie entwickelt, dies war für sie alles wichtiger als eine Sekundarschule, denn sie hat ein Selbstwert bekommen als Klassenbeste: super, ich musste ihr nirgens helfen bei Telefonaten oder Gesprächen für die Schnupperlehre, sie macht alles mit stolz selber.
Wir hatten mal Mäuse im Haus, wir wohnen in einem alten Haus. Damit ich kein Gift und keine Fallen aufstellen musste kaufte ich ein Ultraschallgerät, bis ich merkte dass unser Sohn wegen diesem Gerät fast durchdrehte, es war tatsächlich so dass er diese Frequenz wahrnahm. Sofort habe ich mich im Geschäft erkundigt und man sagte mir, dass tatsächlich ein gewisser Prozentsatz fähig wäre diese Töne wahrzunehmen. Unser Sohn sagt dass viele Geräte einen Unterton haben, übrigens wollen unsere beide Kinder kein Handy weil sie keinen Stress wollen. Sie regen sich gar manchmal wegen meinem Mann und mir auf. Unser Sohn ist auch ADS.
Seit gestern weiss ich dass ich mir nicht mehr sagen lassen muss, dass unsere Kinder zu sehr in der Bergwelt aufwachsen, sondern dass sie völlig normal sind.
Mit lieben Grüssen und herzlichen Dank für Ihre Zeit C.B.
SCHULWEG-ERINNERUNGEN einer HSP: Wenn ich heute an den Schulweg zurückdenke, kommen sehr gemischte Gefühle hoch. Einerseits faszinieren mich heute noch die Häuser, an denen man auf dem Schulweg vorbei kam - und die Abkürzungen, die man nahm, wenn man zu spät unterwegs war. Dort hinter jener Gartentüre bellte immer der böse Hund "Godi" und fletschte seine Zähne. Einmal war die Gartentüre offen, ich rannte entsetzt davon, und Godi biss mich - glücklicherweise nur in den Mantel. Aber die Situation war trotzdem sehr schockierend. In einem anderen Haus wohnte eine nette Dame, die man um Luftballons bitten konnte, wenn sie gute Laune hatte. Einmal hob ich einen grauen gebrauchten Kaugummiklumpen vom Boden auf und kaute ihn weiter, weil ich selber nie Kaugummis bekam. Ein stetes Angstgefühl verursachten mir vier gleichaltrige Jungs, die mir manchmal auflauerten, um zu viert auf mich loszugehen und mich zu schlagen: wie hasste ich diese Übermacht... und wie oft flüchtete ich vor ihnen oder benutzte Schleichwege, welche sie nicht kannten. Ich fühlte mich ihnen ausgeliefert, und niemand half mir, - eine traumatische Erinnerung. Meistens aber war ich nicht alleine, sondern legte den Weg mit meiner besten Freundin zurück. Da war alles halb so schlimm. Ausser an jenem eiskalten Wintertag, als wir auf dem Schulweg darüber diskutierten, dass man mit der Zunge auf keinen Fall eisig kaltes Metall berühren dürfe. Trotzdem siegte die Neugierde und wir probierten es aus, als wir an einem Metallgeländer vorbei kamen: unsere Zungen klebten sogleich am eisigen Geländer fest - und bluteten, als wir sie entsetzt zurückzogen: noch einmal Glück gehabt... T.W.
Allen Schulkindern und Ihren Betreuer/innen viel Glück und Freude
beim Steuern durch die Wellen des Schulalltags...
Letztes Update: 10.7.2023